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Yin Yoga - die Insel der Ruhe


Der Stil wurde in den 80er Jahren in den USA von Paul Grilley entwickelt, inspiriert von langsamer Yogapraxis und daoistischen Übungen. Verfeinert und als Yin Yoga benannt wurde er von Sarah Powers, Yogalehrerin und Kollegin von Grilley.

 

Mehrere Menschen in einer entspannten Yogahaltung.
Yin Yoga Klasse

Woher kommt die Bezeichnung „Yin“ bei Yoga?

 

Bezeichnung Yin und Yang kommen aus der traditionellen chinesischen Weltanschauung und beschreiben zwei entgegengesetzte Kräfte, die sich ergänzen und nie getrennt voneinander existieren. Yin steht für das Ruhige, Empfangende, Abkühlende und Nachgebende – vergleichbar mit Dunkelheit, Mond und dem Weiblichen. Yang beschreibt das Aktive, Wärmende und Treibende – wie Sonne, Licht und das Männliche. Ohne das eine gibt es das andere nicht; beides ist im ständigen Wechsel und Gleichgewicht. Wie das Licht und der Schatten.


Das Yin – Yang Prinzip findet man aber auch in der Yogaphilosophie. Selbst das Wort ‚Hatha’ besteht aus zwei Gegensätzen: ‚Ha’ steht in Sanskrit für die Sonne und das, was nach außen geht und ‚tha’ für den Mond als was, was sich nach innen richtet. Und in der Lehre über die Energiekanäle, die unseren Körper durchlaufen, findet man zwei Haupt-Nadis, die diesen beiden Qualitäten entsprechen: Pingala - mit der Sonnenenergie verbunden und Ida - mit der Mondenergie. Auch in Yoga geht es um die Balance zwischen diesen beiden Energien.

 


Was bedeutet Yin in der Yogapraxis.

 

In der Yogapraxis steht Yin für das Ruhige, Passive und Entspannende – es betont das Loslassen, längeres Verweilen in Positionen und das Fühlen nach innen. Der Schwerpunkt liegt auf Faszien, Bindegewebe und innerer Achtsamkeit. Asanas werden zwischen 3 und 5 Minuten gehalten, manchmal sogar länger. Meist sind das sitzende oder liegende Positionen – oft mit Hilfsmitteln wie Bolster, Kissen, Blöcken, Decken und Gurten zur Unterstützung des Loslassens.


Untensilien für Yin Yoga Unterricht.
Yin Yoga Equipment ©youryogatrainer

Es geht darum, zur Ruhe zu kommen und achtsam wahrzunehmen, was in einem vorgeht – nicht nur auf der physischen Ebene. Die transformierende Kraft von Yoga ist auf emotionaler und mentaler Ebene besonders in dieser Praxis tief spürbar.


Yang steht im Yoga dagegen für Aktivität, Kraft und Dynamik – das bedeutet muskelaktive, energetisierende und kräftigende Assanas und Flows. Während der Praxis wird viel Krafteinsatz gefordert, Wärme und Energie produziert.

Zu Yang-Yoga-Richtungen gehören alle Vinyasa-Stile, unter anderem Jivamukti, Anusara und natürlich Ashtanga – die Mutter aller Vinyasa-Schulen.


Unsere westliche Yogapraxis ist oft sehr leistungsorientiert und performativ geworden. Viele Praktizierende nehmen sich als Ziel, in den Übungen besser zu werden und durch die Asanapraxis ihren Körper zu kräftigen und flexibler zu werden - dahinter verbirgt sich die Idee der Selbstoptimierung und das Streben nach dem Ideal. Yin Yoga bietet den Gegenpol. Sowohl auf der Matte als auch im Leben.

 


Wie wirkt sich Yin Yoga auf den Körper aus?


Die Theorie besagt, dass beim Yin Yoga nicht aktiv Energie freigesetzt wird, sondern der körpereigene Energiefluss angeregt und genutzt wird – dabei sollen sich tief sitzende Blockaden lösen, die den Energiefluss stoppen können. Es wird versprochen, dass durch die Yin-Praxis besonders die tiefliegenden Gewebeschichten, also die Faszien, erreicht werden. Oft ist die Rede von „Verklebungen“, die gelöst werden und die häufig als Ursache von chronischen Schmerzen gelten. Das soll funktionieren wie bei einem alten Schwamm, den man durch Drehen und Drücken von aufgesaugtem Schmutz befreit.

Diese Aussagen sind umstritten.


Die vielfach beworbene gezielte Einflussnahme auf die tiefliegenden Faszien lässt sich wissenschaftlich nicht belegen. Aus Sicht der Neuro-Athletik wirkt Yin Yoga jedoch auf die Regulation des Nervensystems, da es die Verbindung von Hirnstamm, limbischem System und Neokortex anspricht. Über passive, mental gestützte Entspannung werden die zentralnervös gesteuerten Muster für Muskeltonus und Schmerztoleranz gezielt beeinflusst. Durch bewusste Ankertechnik-Atmung, längeres Verweilen in Positionen und meditative Techniken wird der Parasympathikus aktiviert, Stress reduziert und die Fähigkeit zur Selbstregulation gestärkt. Auf diese Weise löst die Praxis nicht nur körperliche Anspannungen, wobei das subjektive Gefühl von Leichtigkeit und Flexibilität entsteht, sondern auch emotionale Blockaden, bringt das Nervensystem ins Gleichgewicht und fördert sowohl emotionale als auch mentale Widerstandskraft. Strukturelle Veränderungen der Faszien finden jedoch nicht statt.*



Für wen ist Yin Yoga Praxis geeignet?


Wichtig ist, sich zu fragen: Was brauche ich, um in einen Zustand von Balance und Einheit zu kommen? Die Antwort fällt bei jedem anders aus. In meiner Praxis brauche ich an manchen Tagen eher einen Energieschub – besonders am frühen Morgen oder auch als Abschluss des Tages, um den Stress auszuschwitzen oder quasi als Antidepressivum, besonders im Winter. An anderen Tagen merke ich, dass ich von Reizen überflutet bin oder gesundheitlich leicht angeschlagen bin und dann eine ruhige, achtsame Yin-Praxis gut wäre.


Es kann auch von der Lebensphase abhängen. Die Yin-Praxis habe ich für mich viel später entdeckt und noch später gelernt, sie achtsam einzusetzen. Heute, wo ich beide Qualitäten kenne, kann ich bewusst in mich hineinhorchen und dem nachgehen, was ich im Moment brauche: mal mehr kraftvolles und aktivierendes Yang, mal die ruhigere, nach innen gerichtete Yin-Energie. Deshalb kann ich nur sagen: Jeder muss es selber ausprobieren.

 


Herausforderungen im Yin Yoga.


Yin Yoga kann durchaus herausfordernd sein – sowohl auf der emotionalen, geistigen als auch auf der physischen Ebene. Das lange Halten der Positionen stimuliert den Körper sanft aber kontinuierlich und bringt nicht selten das „Kopfkino” in Gang, es tauchen Emotionen auf, Erinnerungen werden wach. In meiner ersten Yin-Stunde war ich etwas irritiert, weil es mir bewusst wurde, wie stark ich immer noch – trotz jahrelanger Yoga Praxis – mit meiner Selbstwahrnehmung nach außen orientiert bin und mit mir und meinem Körper kämpfe. Da kann auch mal Wut, Ärger oder Trauer hochkommen, was im ersten Moment erschrecken kann. Doch genau diese Praxis half mir zu verstehen, was es bedeutet, das anzunehmen, was da ist, und somit den Transformationsprozess mit ihrer spiralförmigen Dynamik zu akzeptieren.

Gerade wenn man in einer akuten Krise oder Depression steckt, sollte man sich vorher gut überlegen, ob diese Praxis das Richtige gerade ist und auf jeden Fall eine erfahrene Lehrerin oder einen Lehrer aufsuchen.

 

Gleichzeitig kann das Langhalten auch rein körperlich anstrengend sein, gerade bei Verspannungen oder gespeichertem Stress in bestimmten Körperregionen wie Hüfte, Nacken oder Rücken. Genau dieser Teil von Yin Yoga hilft, schwierigen Situationen standzuhalten und mit ihnen besser umzugehen, sodass wir weniger schnell aus dem Gleichgewicht geraten. Kaum andere physische Yoga Praxis lehrt Achtsamkeit so unmittelbar wie Yin.

 


Summa Summarum


Was Dich erwartet

  • Ruhige, achtsame Praxis: Im Yin-Unterricht wirst Du in sitzenden oder liegenden Asanas ca. 5 Minuten lang verweilen, die Deine körperliche, mentale und vielleicht emotionale Ebene tief ansprechen.

  • Intensive Wirkung auf Dein Nervensystem: Die langsame, lange gehaltene Praxis aktiviert vor allem den Parasympathikus ("Ruhemodus").

  • Fokus auf innere Prozesse: Die Verbindung von Atem, Achtsamkeit und Beobachtung steht im Mittelpunkt, was Dir hilft, Deine Praxis auf eine tiefere Ebene zu bringen.


Für wen geeignet

  • Alle, die mehr Ruhe und das Loslassen brauchen.

  • Alle, die durch das Innehalten Stress abbauen und angestaute Blockaden öffnen wollen und dadurch dem Zustand des Yoga näher kommen wollen.

  • Menschen jeden Alters und fast jeder körperlichen Verfassung.


Meine subjektive Empfehlung für Yin Yoga in Berlin:

Yin Yoga kann man in fast jedem Yogastudio finden. Schau einfach, ob das Studio in Deiner Umgebung diese Praxis anbietet. Meine persönliche Empfehlung ist:

Three Boons Yoga, bei Romarei Hartwich

Mady Morrison, online (deutsch)

Felicia Walker, online (englisch)

und viele, viele mehr!



*Wie man eine schmerzhafte Verspannung – am Beispiel der Oberschenkel-Sehnenplatte, (Tractus iliotibialis) auch Läuferknie-Syndrom genannt – auf neuronaler Ebene schnell und effektiv lösen kann, beschreibe ich in meinem ersten Blogbeitrag zum Thema Neuroathletik.

 

 

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