Verletzungen im Yoga. Über Risiken auf der Matte und Neuroathletik als Prävention
- Grazyna Kania

- 11. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Yoga ist eine Oase für Körper und Geist – doch die Yogagemeinschaft verschweigt das Thema Verletzungen häufig. Ein Paradebeispiel dafür ist das Nichtvorhandensein des Wortes „Verletzung” in traditionellen Yogabüchern. Weder B.K.S. Iyengar noch Swami Sivanananda, Indra Devi oder Bikram verwenden es. Dabei ist niemand davor gefeit, auch nicht nach Jahren der Praxis und Selbstkenntnis. Über die schmerzhaften, aber lehrreichen Seiten des Yogas, meiner eigenen Erfahrung mit Verletzungen – und warum Gruppenunterricht nicht für jeden das Richtige ist.

Keine Asana schützt vor Verletzungen im Yoga – Verletzungen lehren Demut (und Geduld)
Ich schreibe diese Zeilen, denn aus eigener Erfahrung weiß ich: Auch mit großer Achtsamkeit und Expertenwissen kann man sich auf der Matte überfordern. Mein rechtes Handgelenk erinnert mich regelmäßig daran – ein Ganglion, zweimal operiert und längst vergessen, kam nach Jahren durch zu intensive Praxis von Balance- und Umkehrhaltungen auf den Händen zurück. Meine über fünfzig Jahre alten Schultergelenke vertragen intensives Ashtanga oder Power Yoga nicht: nach zu vielen Vinyasas reagieren sie mit einer Entzündung. Nicht jede Verletzung entsteht jedoch durch das eigene Ego. Auch eine unachtsame Korrektur oder das Hineinpressen des Körpers in eine Pose unter Missachtung der Körpersignale kann zu Verletzungen führen. Das Ergebnis? Zum Beispiel eine gezerrte ischiocrurale Sehne (Hamstring) beim Hineindrücken in eine tiefe Vorwärtsbeuge (Paschimottanasana), monatelange Reha und eine Instabilität auf einer Körperseite bis heute – so war es bei mir.
Hat mir das Yoga verleidet? Nein. Hat es meinen Blick geschärft für die Verletzungsrisiken diesen durchaus gesunder Praxis? Absolut.
Wissenschaftliche Perspektive und Statistik bezüglich Verletzungen in Yoga
Eins muss klar sein: Sobald man sich vom Sofa erhebt, steigt prinzipiell das Risiko für eine Verletzung. Der Fakt ist aber, Yoga führt nicht häufiger als vergleichbare Bewegungsformen wie Stretching zu gesundheitlichen Problemen. Mehrere Studien zeigen sogar, dass im Vergleich zu anderen Sportarten Yoga deutlich sicherer ist: Statistisch kommt etwa 1,45 Verletzungen auf 1000 Praxisstunden**. Schleip, ein anerkannter Faszienforscher, betont: „Das Risiko ist vergleichbar mit Nordic Walking oder Schwimmen.“ Zum Vergleich: Hobbyläufer kommen auf 33 Verletzungen pro 1000 Stunden, Fußballer auf 36.
Berühmte Adjustments: Risiko „aus guten Händen“
2009 führten Wissenschaftler eine Umfrage unter Yogalehrern, Therapeuten und Ärzten aus 35 Ländern zu den Risiken beim Yoga durch. Die Mehrheit der 1336 Experten bezeichnete übermäßigen Ehrgeiz, schlechte Instruktion und falsche Techniken als besonders gefährlich*. Dies betont auch Ronald Steiner, in der Yogaszene geschätzter Sportmediziner und Ashtanga-Lehrer: „Nicht die Asanas sind schädlich, sondern ihr oft fehlendes Adjustment“. Ich stimme hundertprozentig zu und betone: Der Lehrer muss nicht nur jede Asana gut erklären und anpassen, sondern auch jeden Assist individuell auf die Person abstimmen.

Zum Glück gehören die kraftvollen „One-Fits-All-Korrekturen“ aus der Ashtanga- und Bikram-Yoga-Schule der Vergangenheit an. Über diese Praktiken, die häufig zu dauerhaften Verletzungen, Schädigungen oder sogar Traumata geführt haben, und darüber, wie heute eher begleitet als korrigiert wird, habe ich unter anderem auf meinen Blogs umfangreich geschrieben.
Eins bleibt sicher: Die beste Vorbeugung gegen Verletzungen wäre eine gute Lehrerin oder Lehrer. Der Fakt ist aber, dass der Titel „Yogalehrer” nicht gesetzlich geschützt ist, jeder kann sich so nennen.
Nehmen wir also an, wir haben das Glück, bei einer guten Lehrerin gelandet zu sein.
Ist die Umsetzung einer individuellen Assist in einem Gruppenunterricht optimal möglich? Sowohl viele Anfänger als auch Personen mit Verletzungs- und Schmerzvorgeschichte brauchen eine personalisierte Führung – in der Assana selbst ebenso wie in der Wahl der Assist. Aber im großen Gruppenunterricht mit viel Rotation kann der Lehrer den individuellen Körper jedes Einzelnen nicht ausreichend kennenlernen – und weiß nicht, ob ein Assist jetzt die Pose vertiefen oder eher ein empfindliches Areal entlasten sollte. Selbst in Präventionsprogrammen werden individuelle Unterschiede oft ignoriert.
Gruppenunterricht und die Falle der „symmetrischen Praxis“
Zu Gruppenunterricht gehört auch ein weiterer Aspekt: Die symmetrische Praxis wobei die rechte und linke Körperhälfte werden identisch trainiert. Sie ist für Lehrende aus didaktischer Sicht bequem, kann aber für viele fatal sein. Beispiel: Die oben genannte Zerrung der ischiocruralen Sehne führte dazu, dass mein linkes Bein – trotz Reha und Heilung – keine Belastung vertrug, bis Schmerz im Fuß, Knie, Becken und weitere Probleme auftraten. Symmetrische Praxis verstärkte das Problem nur. Das liegt daran, dass das Nervensystem immer die „sichere“, starke Seite bevorzugt und auch bei bilateralen Übungen weiter nutzt – die schwächere Seite wird nicht genug aktiviert, das Kompensationsmuster verschwindet nicht, sondern verfestigt sich. Eine Nachfolgeverletzung ist somit vorprogrammiert. Was dagegen hilft, ist individuelle auf die spezifischen Probleme ausgerichtete Praxis, samt neurologischen Aufarbeitung, bis das Gehirn auf der schwächeren Seite genug Sicherheit hat und mehr Belastung zulässt.
Neuroathletik – beginne mit der starken Seite!
Eine (von vielen) mögliche Methode, die verletzte Seite vorzubereiten, ist das bewusste Trainieren der stärkeren Seite zuerst. Laut aktuellem Stand der Neuro-Wissenschaften erhöht das die Aktivierung auf der schwächeren Seite von 8 bis sogar 50%. In der Neurologie nennt man das Cross-Education-Effekt. Kraftübungen zuerst mit der stärkeren Seite aktivieren die entsprechenden Hirnregionen (motorischer Cortex, interhemisphärische Verbindungen), was später auch der gegenüberliegenden Seite zugutekommt – sogar wenn sie die Bewegung nicht komplett mitmacht. In der Neuro-Athletik ist das Training der besseren Seite eine bewährte Strategie, um die Funktion der schwächeren Seite zu erhalten oder zu verbessern, besonders wenn dort ein direktes Training erschwert ist. Daher lohnt es sich, immer mit der sogenannten „Schokoladenseite“ zu starten!
Wie setzt man das im Gruppenunterricht um?
Das ist der Punkt. Ideal wäre es, den eigenen Körper zunächst durch spezielle Tests im Einzelunterricht kennenzulernen, so die eigene neurologische Landkarte zu erfassen und dann in die Gruppe zu gehen. So könnte man sich so vorbereiten, dass man bei Bedarf die Seite entgegen der Lehreranweisung wechselt und die Sequenzen individuell abwandelt. Das erfordert natürlich große Selbstwahrnehmung, ist aber bei chronischen, hartnäckigen Dysfunktionen absolut nötig – deshalb empfehle ich individuelle Einzelstunden mit seriöser Erstanamnese, präzisen Korrekturen und einem persönlichen Trainingsplan. Nur so kann man reale Defizite erkennen, Dysbalancen beeinflussen und das Verletzungsrisiko senken.
Yoga – individuelle Reise und Prozess der Veränderung
Die Praxis muss achtsam, ruhig und offen für Anpassung sein. Es gibt keine „Übung für gesunde Rücken“ für alle. Wenn ein Lehrer behauptet, „diese Übung ist gut für die Knie“ – kennt er die Vielfalt der Körper nicht! Ein „One fits all“ gibt es nicht. Jedes Nervensystem von uns ist anders und jeder braucht einen eigenen Ansatz. Studien sind eindeutig: Prävention gelingt am besten durch individuell angepasste Praxis und Achtsamkeit. Ich zähle zudem gezielte Aktivierung des Nervensystems, bewusstes Atemtraining, isometrische Kraftübungen, funktionale Bewegung und wertfreie Beobachtung.
Fragen? Interessiert dich Einzelunterricht in deinem Rhythmus, für deine Bedürfnisse zugeschnitten, mit individueller Korrektur und neurologischer Vorbereitung? Ich lade dich zum Kontakt ein – sei neugierig auf deinen Körper und lerne, dir selbst zu helfen!






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