Habt ihr schon einmal in einer Klasse gehört, wie ein:e Lehrer:in empfiehlt, dass menstruierende Frauen Umkehrhaltungen nicht praktizieren sollen?
Wenn nicht, herzlichen Glückwunsch!
Es gibt jedoch immer noch Yoga-Schulen, die das sogar streng verbieten.
Woher stammt die Behauptung, dass Umkehrhaltungen während der Periode nicht praktiziert werden sollten?
Gemäß der yogischen Tradition existiert eine Energie namens Apana Vayu.
"Apana" bedeutet im Sanskrit "nach unten gehend". Es handelt sich um die Energie für Ausscheidungsprozesse oder das Abfließen von Prana vom Nabel bis zum Wurzelchakra. Wenn Apana gestört ist, soll es beispielsweise zu Durchfall oder Verstopfung kommen. Aber das ist nicht alles: Apana soll auch die Ejakulation, die Menstruation sowie die Bewegung der Eizelle im Eileiter kontrollieren.
Die verbreitete Ansicht, dass Umkehrhaltungen während der Periode vermieden werden sollten, stammt unter anderem aus der Iyengar Yoga. Dieser Yogastil empfiehlt ein speziell angepasstes Programm für menstruierende Frauen, das bei Bedarf auch im regulären Unterricht vermittelt werden kann.
In der Realität sieht dies bei einigen Lehrern so aus: Zu Beginn der Stunde wird die Frage gestellt, wer gerade menstruiert. Wenn eine Teilnehmerin den Mut aufbringt, es zuzugeben, wird sie daraufhin unabhängig von ihrem eigenen Wunsch aus einigen Haltungen ausgeschlossen. Ich habe selbst erlebt, wie der Lehrer zuerst den Namen der Frau nannte (sic!) und ihr die Alternativ-Asana zeigte.
Die Alternativ-Asana stand dabei nicht zur Auswahl, sie war verpflichtend. Doch mit der Zeit wurde er knapper und ungeduldiger, bis er schließlich verkündete: "Menstruation an die Wand" – dann nannte er den Namen der Haltung.
Es mag sein, dass dieser spezielle Lehrer, ein Guru der Iyengar-Schule in Polen, ein Einzelfall war. Meine Frage, warum das Umkehren während der Menstruation so streng untersagt sei (ich habe schließlich als Balletttänzerin und jugendliche Sportlerin auch während meiner Periode Leistungen erbracht, ohne dass mir das Blut aus der Nase heraus floss), wurde aber auch von anderen Iyengar-Lehrer:innen sowohl mit Apana Vayu als auch mit dem Rückfluss des Blutes beantwortet. Bei Apana Vayu kommt es auf den Glauben an. (Zumal es sich nur um Menstruationsblut, nicht um Urin oder Darminhalt handeln soll.) Zum Rückfluss des Blutes, genaugenommen bei retrograder Menstruation, gibt es zwar Theorien und Behauptungen, doch keine wissenschaftlichen Studien, die diese stützen.
Selbstbestimmung in Yoga
Es geht dabei nicht nur darum, ob diese oder jene Behauptung stimmt, sondern auch darum, dass einer Frau in manchen Yoga Schulen die Entscheidung darüber, wie sie während ihrer Periode (oder auch in der Menopause) mit ihrem Körper umgehen möchte, abgenommen wird.
Wir leben im 21. Jahrhundert, und obwohl die Wissenschaft und insbesondere die Medizin den weiblichen Körper bis vor kurzem als instabil und somit ungeeignet für wissenschaftliche Forschung betrachteten und bis zum Beginn unseres Jahrhunderts nur Männer sich damit auseinandersetzten (wohl nicht, weil die Frauen kein Interesse daran hätten, sondern weil sie aus der Ausbildung ausgeschlossen waren)*, wird es höchste Zeit, dass sich auch in der Welt des Yoga das Allgemeinwissen durchsetzt – von der Selbstbestimmung der Frau über ihren eigenen Körper ganz zu schweigen.
Ergebnisse zur Verbindung von Kopfstand und Endometriose - kurzgefasst
Die Theorie, dass die retrograde Menstruation als Ursache für Endometriose sei, wurde erstmals 1927 vom Arzt John A. Sampson aufgestellt. (Ob die Umkehrhaltungen zu einer retrograden Menstruation führen und letztlich eine Endometriose verursachen können, ist eine andere Frage.) Seine Theorie fand damals breite Zustimmung, insbesondere da der Krankheitsprozess zuvor nie im Detail untersucht worden war. Sie stellte auch anatomisch und praktisch eine plausible Erklärung für das Problem dar. Laut seiner Theorie soll während der Menstruation ein Teil des Bluts nicht durch die Scheide, sondern rückwärts durch die Eileiter in die Bauchhöhle fließen. Die tatsächliche Umsetzung dieser Theorie ist jedoch stark umstritten.
In seriösen Quellen habe ich keine Verbindung zwischen dem Kopfstand und dieser Theorie gefunden. Stattdessen stieß ich auf eine Liste von Risikofaktoren für die Entstehung von Endometriose – Umkehrhaltungen sind nicht dabei:
Genetische Disposition
Verlängerte Periodenblutung
wenige oder späte Schwangerschaften
Kaiserschnitt
frühe erste Monatsblutung (Menarche)
kurzer Menstruationszyklus (weniger als 27 Tage)
Es liegen generell nur sehr wenige Beweise vor, um die Behauptung von Dr. John A. Sampson zu untermauern. Tatsächlich haben Untersuchungen ergeben, dass 90 % der Frauen irgendwann eine retrograde Menstruation erleben und dennoch nicht an der Endometriose erkranken.
Umgekehrt wurden Endometriose-Läsionen an Orten beobachtet, die definitiv nicht vom Menstruationsblut erreicht werden können. Beispiele sind die Haut, das Gehirn und sogar das Auge. Gelegentlich wurde diese Veränderung auch bei Männern beobachtet, die eine hoch dosierte Hormongabe von Östrogenen, etwa zur Behandlung von Prostatakrebs, bekommen haben, was als Beleg für die Metaplasietheorie** der Endometrioseentstehung gesehen wird.
Was sind eigentlich Umkehrhaltungen?
Was mir ebenfalls als ziemlich unlogisch erscheint, ist, dass manche Yoginis während ihrer Periode bei Umkehrhaltungen äußerst vorsichtig sind, obwohl dieselben Personen den Großteil des Unterrichts bereits mit dem Kopf nach unten in Adho Mukha Shvanasana (herabschauender Hund) oder in Uttanasana (stehende Vorbeuge) verbracht haben. Denn "Downward Dog" ist ebenfalls eine Umkehrhaltung – also eine Position des Körpers, in der das Becken höher steht als der Kopf. Dazu gehören außer dem Kopfstand, Handstand, Schulterstand auch Pflug, Puppy Pose, Schulterbrücke oder Rad und der bereits erwähnte herabschauende Hund und stehende Vorbeuge.
Einige Beispiele für die Umkehrhaltung. (Fotos: M.Stein)
Wenn die Körperhaltung während der Menstruation so entscheidend wäre, müssten wir aufgrund der Lage der Eileiter die Zeit der Periode im Sitzen oder Stehen verbringen und auch seitliche Positionen wie Vasisthasana (seitliches Brett) oder einfach auf der Seite einschlafen, vermeiden.
Fazit: Die Praxis von Umkehrhaltungen während der Periode birgt KEINE Gefahr für die Bildung von Endometriose.
Wenn Du aber keinen Kopfstand während Deiner Menstruation praktizieren möchtest, weil es sich für Dich nicht gut anfühlt – dann ist das in Ordnung und es ist Deine Entscheidung, nicht die des Lehrers oder der Lehrerin. Persönlich habe ich während meiner Menstruation noch nie Beschwerden beim Invertieren gehabt, außer dass meine Balance am ersten Tag etwas weniger stabil ist. Was ich fast jeden Monat erlebe, sind ziemliche Krämpfe, aber das lässt sich mit gängigen pharmazeutischen Mitteln lösen und steht in keinem Zusammenhang mit der Praxis der Umkehrhaltungen.
*Zu diesem Thema und anderen Bereichen, in denen Frauen heutzutage immer noch ausgeschlossen werden, findest Du weitere Informationen in einem herausragenden Buch, das als Pflichtlektüre für feministische Bildung gelten soll: "Unsichtbare Frauen" von Caroline Criado-Perez.
** Die Metaplasietheorie geht davon aus, dass Endometriose durch Umwandlung von bestimmten Zellen entsteht, die aus der gleichen Zelllinie wie das Endometrium stammen.
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