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AutorenbildGrazyna Kania

Karma vs. Schuld und Verdammnis

oder wie die polnische katholische Kirche Yoga verteufelt


Trotz der offensichtlichen Abneigung der polnischen katholischen Kirche, ja sogar trotz des inoffiziellen Verbots für Katholiken in Polen, Yoga zu praktizieren, kann man in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren einen regelrechten Boom von Yoga in Polen beobachten. Wie ist es möglich, dass trotz der Empfehlungen der Kirche so viele Yogapraktizierende Katholiken sind? Und vor Allem: Wovor fürchtet sich die polnische katholische Kirche?



Michelangelo Buonarroti, Vertreibung aus dem Paradis
Michelangelo Buonarroti, Vertreibung aus dem Paradis


Karma - die Mißverständnisse


Es gibt ein vedisches Wort, das überall auf der Welt bekannt und falsch verwendet, ja missbraucht wird. Die Rede ist von Karma. Auf der ganzen Welt, sowohl unter Christen, Moslems und sogar unter Menschen jüdischen Glaubens, erklären wir Misserfolge mit "schlechtem Karma" oder werfen im Streit "Karma kommt auf dich zurück!". Im ersten Fall wird Karma mit Schicksal verwechselt oder mit einer Schuld, die über Generationen hinweg abgetragen werden muss, im zweiten Fall mit einer Strafe für unsere Verfehlungen, vielleicht sogar aus göttlicher Hand. Aber Karma ist nichts davon.


In den alten Texten wird Karma als ein zusammengesetztes Wort geschrieben, karma-vipaka und bedeutet "Handlung und Frucht" oder "Handlung und Ergebnis". Mit anderen Worten, es beschreibt, was wir als das Gesetzt von Ursache und Wirkung bezeichnen. Dies ist kein philosophisches Konzept, sondern eine psychologische Beschreibung davon, wie sich unsere Erfahrungen jeden Tag entfalten.

Das Gesetz von Ursache und Wirkung besagt, dass jede Handlung eine Wirkung hat. Gute Handlungen kommen als Glück zurück, schlechte als Leiden.

Der Buddhismus betont außerdem die Natur der verborgenen und unerfüllten Handlungen (citta-karma) und erkennt die Tendenz zur Depravität in der menschlichen Natur an. Gut und Böse entstehen also aus Zuständen des Geistes. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Ethik der Motivation. Es geht darum, zwischen der Absicht, Böses zu tun (absichtliche Handlungen), und solchen, die unbewusst oder versehentlich begangen werden, zu unterscheiden. Diese Unterscheidung beeinflusst die Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen Schuld und Strafe sowie die Individualisierung der Verantwortung.



Karma und Nervensystem


„Um zu verstehen wie Karma funktioniert, reicht es unsere Gewohnheitsmuster zu beobachten." - wie Jak Kornfield es beschreibt - "Wenn wir uns Gewohnheiten und Konditionierungen ansehen, können wir erkennen, wie unser Gehirn und unser Bewusstsein wiederkehrende Muster erzeugen. Wenn wir genug Tennis üben, werden wir unseren nächsten Schlag vorwegnehmen, sobald der Ball den Schläger des anderen Spielers verlässt. Wenn wir üben, wütend zu sein, wird die kleinste Kränkung unsere Wut auslösen.


Diese Muster sind wie eine wiederbeschreibbare Festplatte. Wenn sie wiederholt eingebrannt werden, wird das Muster zur regelmäßigen Reaktion. Die moderne Neurowissenschaft hat dies recht überzeugend nachgewiesen. Unsere wiederholten Denk- und Handlungsmuster verändern tatsächlich unser Nervensystem. Jedes Mal, wenn wir unsere Aufmerksamkeit fokussieren und unseren Absichten folgen, feuern unsere Nerven, verbinden sich Synapsen, und diese neuronalen Muster werden verstärkt. Die Neuronen wachsen buchstäblich in diese Richtung.“

 



Thích Nhất Hạnh
Thích Nhất Hạnh

Ähnlich beschreibt den karmischen Prozess der Konditionierung Zen-Meister Thích Nhất Hạnh: "Aus der Absicht entspringt die Tat, aus der Tat entspringen die Gewohnheiten. Aus den Gewohnheiten wächst der Charakter, aus dem Charakter entwickelt sich das Schicksal."

 


Wohlbemerkt können Gewohnheiten auch kollektiver Natur sein. Gesellschaften können destruktive Gewohnheiten wie Rassismus, Xenophobie, Misoginie, Homophobie, Hass und Rache reproduzieren.

 


Wir können aber mit Gewohnheiten arbeiten und das Karma beeinflussen.

 

Im Gegensatz zum Kreuz, das uns der hohe und strenge Herr auferlegt hat und gegen das wir nichts tun können, außer es zu ertragen, können wir unser Karma beeinflussen. Und das ist der eigentliche Skandal. Mithilfe von RIAN, einer Achtsamkeitspraxis, können wir unser Nervensystem neu verdrahten. Der Ursprung dieser Transformation ist unsere Absicht. Die buddhistische Psychologie erklärt, dass vor jeder Handlung eine Absicht steht, auch wenn diese oft unbewusst ist. Wir können die vier Stufen des RIAN, also Anerkennung, Akzeptanz, Erforschung des Leidens und Nicht-Identifikation nutzen, um neues Karma zu schaffen. Durch Achtsamkeit und Nicht-Identifikation können wir eine neue Absicht wählen. Wir können dies von Augenblick zu Augenblick tun, und wir können uns auch langfristige Absichten setzen, um unser Leben zu verändern.





Auf Youtube findest Du eine ganze Reihe von seriöser Videos über Karma. Hier empfehle ich einen Vortrag von Ayya Khema, einer deutschen buddhistischen Nonne und Gründerin eines Klosters und Zentrums im Allgäu, zu diesem Thema. Ayya Khema hat wesentlich zur Verbreitung der Theravada-Tradition in Deutschland beigetragen.



Das Konzept des Karmas in Yoga.


Das Konzept des Karmas als eine Aktion, die immer eine Reaktion hervorruft gibt es auch in Yoga. Das gute dabei ist, es steht allen Menschen unabhängig von ihrer Religion offen. So üben wir persönliche Verantwortung für die Folgen unseres Handelns zu übernehmen. Ohne ein „schlechtes Gewissen“ zu pflegen und ohne einer Verdammnis im Jenseits zu fürchten. In dieser Praxis geht es vor allem um hier und jetzt.


"Denn die Existenz eines jeden Lebewesens hat eine Wirkung auf alle anderen Lebewesen. Manche nennen es den Schmetterlingseffekt. Wie auch immer es genannt wird, dieses Bewusstsein ist grundlegend für unsere Praxis. Wir versuchen einfach, uns daran zu erinnern, dass wir allein durch die Tatsache, dass wir auf die Welt kommen, dass wir geboren werden, zu Verursachern von bedeutsamen Ereignissen im gesamten Universum werden, die wir mit anderen Lebewesen teilen. Das hebt den Status des Menschen sehr hoch.“ schreibt Paulina Młynarska.  



Schmetterling im Garten
Der Schmetterlingseffekt (englisch butterfly effect) ist ein Phänomen der Nichtlinearen Dynamik.

Von der Kanzel wird uns dagegen immer wieder gesagt: „Vom Staub bist du gekommen. Zum Staub kehrst du zurück“. Mit anderen Worten: Du bist aus dem Nichts gekommen, bist unbedeutend und wirst wieder zum Nichts. Aber in Wirklichkeit ist alles, was wir gedacht, gesagt und getan haben von Bedeutung und hat Folgen also wird immer zum Etwas!

Wir wissen nie, welche unserer Handlungen schwerwiegende Folgen haben werden, die sehr, sehr weit über die Reichweite unserer Sicht, unseres Bewusstseins und sogar der Zeit hinausgehen, die uns in diesem Körper, in dieser Welt gegeben ist. "In der yogischen Auffassung der Realität sind wir miteinander verbunden wie Punkte in einem riesigen Spinnennetz.“ - schreibt weiter Młynarska – „Wo immer wir daran ziehen, bewegen sich die Schwingungen zu sehr weit entfernten Orten, von denen wir nicht wissen, dass sie existieren."**

 


„Bevor du handelst, hast du Freiheit, aber nachdem du gehandelt hast, wird die Wirkung dieser Handlung dir folgen, ob du es willst oder nicht. Das ist das Gesetz des Karma.“ Paramahansa Yogananda



Als mir klar wurde, dass ich mir nicht aussuchen kann, was andere über mich denken oder sagen, wie sie mich behandeln, weil es ihr Karma ist, dass ich aber die Wahl habe, wie ich reagiere, und dass diese Reaktion mein Karma ist, begann ich, mich selbst und andere mit mehr Mitgefühl wahrzunehmen. Einer meiner Meditationslehrer sagte mal: "Das Innehalten gibt den Inhalt - der Inhal gibt den Halt". Und tatsächlich gibt mir der bewusste Verzicht auf eine unmittelbare Reaktion ein Gefühl der Befreiung vom Ausgeliefertsein an meine Emotionen und Konditionierungen. Es klappt zwar nicht immer - aber immer öfter!



Tag des Jüngsten Gerichts als Flachrelief an der Fassade des Doms von Orvieto in Umbrien.
Tag des Jüngsten Gerichts als Flachrelief an der Fassade des Doms von Orvieto in Umbrien.

Erbsünde, Schuld und Verdammnis - ist da noch Erlösung in Sicht?

 

Schuld und Strafe wie in den abrahamitischen Religionen kennt man weder in Yoga noch in Buddhismus so nicht. Es überrascht mich daher nicht, dass sich trotz der Tatsache, dass die Hauptreligion des Westens das Christentum - in der einen oder anderen Form - ist, der Yoga mit seiner durch und durch menschenfreundlichen Grundlage in Europa recht schnell verbreitet hat, sogar in so katholischen Ländern wie Italien, Spanien, Portugal, Irland und Polen. Ich verstehe die Sehnsucht nach einem anderen Konzept als dem von den Kanzeln der Kirchen gepredigten Prinzip von Erbsünde, Schuld und Verdammnis. Dieses Konzept scheint dazu zu dienen, das Leiden zu vergrößern, indem es Schuldgefühle nährt und das Gewissen belastet. Der unglückliche kleine Mensch kann sich nach dieser Auffassung nicht selbst helfen und muss sich in die Hände der Kirche begeben. Es geht also um Macht.

Wer es aber erkennt, beginnt nach anderen Wegen zu suchen, um Frieden und Freiheit vom Leid zu erlangen. Weil das ist doch unser Ziel: glücklich und frei von Leid leben zu können.



Yoga - der liebste Feind der katholischen Kirche


Es gibt zwar keine offizielle Erklärung der polnischen Katholischen Kirche, die Yoga als Sünde bezeichnet oder verbietet. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Stellungnahmen zahlreicher Theologen und Priester, wonach die Ausübung von Yoga im Widerspruch zur christlichen Religion steht. Eigentlich ist das kein Wunder.


Polnische Theologen äußern sich besorgt über die Vermischung verschiedener religiöser Traditionen und den damit verbundenen Synkretismus. Besonders gravierend könnte die Theorie der Reinkarnation sein, die viele für unvereinbar mit dem christlichen Glauben halten. Nun, ein amerikanischer Neutestamentler, G.H.C. McGregor, hat nachgewiesen, dass die katholische Kirche die Reinkarnation nie offiziell verurteilt hat, bis vor kurzem, als der Papst Franziskus erklärte, dass die Reinkarnation dem christlichen Glauben widerspricht. Aber was machen wir mit der Stelle im Neuen Testament, wo Jesus gefragt wird: „Wer ist Johannes der Täufer, von wem ist er die Wiedergeburt?“ Er antwortet: „Das ist Elias.“? - Solche Stellen gibt es noch einige.


Auch Veganismus und ein respektvoller Umgang mit der Natur, abgeleitet aus Ahimsa, einer der spirituellen Praktiken des Yoga (den sogenannten Yamas), bereitet einigen Theologen Schwierigkeiten. Ahimsa besagt, dass man keine Gewalt anwenden soll. Auf der anderen Seite wird scheinbar dasselbe gepredigt: "Du sollst nicht töten". Allerdings haben die Christen die Tiere von diesem Gebot ausgenommen und argumentieren mit der berühmten biblischen Aufforderung Gottes in der Schöpfungsgeschichte an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen. Dies wird bis heute als eine der dreistesten Rechtfertigungen nicht nur für die Massentierhaltung angeführt, bei der die Tiere unter entsetzlichen Qualen in engen Käfigen gehalten werden, sondern generell für die grenzenlose Ausbeutung der Natur.



Wer und wo ist der Gott, noch mal?

 

Für die polnische Vertreter der Kirche ist auch die Anerkennung der Göttlichkeit des Menschen an sich ein heikles Thema: In der Yogapraxis geht es darum, den Panzer aus Gedanken- und Verhaltensmustern zu durchbrechen, in dem unser reines Selbst, mit dem wir geboren werden und das Teil des göttlichen Ganzen ist, gefangen ist. Pater Radosław Broniek OP, Leiter des Dominikanischen Informationszentrums über Sekten und neue religiöse Bewegungen in Warschau, betont, dass „dies dazu führen könne, dass der Mensch zu driften beginnt und sich damit von Gott entfernt.“ Nun, eher von der Definition des Gottes nach katholischen Vorbild: dem oft furchterregenden dafür aber einzig gerechtem Vater, der kein Wiederspruch leidet und seinem Sohn, also zwei Männern, die weit von uns über uns urteilen. Ich vermute daher, dass es hier eher um die Furch geht, sich vom moralischen Urteil der katholischen Kirche zu lösen, als sich von Gott zu entfernen.

Yoga ist eine Praxis, ein Lebensstil. Es als Religion zu betrachten, wie es der oben zitierte Pater versucht, ist ein grundlegendes Missverständnis.



Mehrere Menschen im Schneidersitz
Meditation als Praxis zur Heilung von Leiden


Urteilende Vernunft vs. liebevolle Achtsamkeit


Wenn also "ein Christ jemand ist, der die Wirklichkeit mit einer vom Glauben erleuchteten Vernunft beurteilt", wie es der oben zitierte Pater formuliert hat, dann verstehe ich das Bedürfnis des Christen, der von seiner ständig urteilenden Vernunft gequält wird, die Welt mit Akzeptanz und einem von den Mustern, die sein Leiden verursachen, gereinigten Geist wahrzunehmen, ohne zu urteilen. Ich kann sehr gut nachvollziehen das Bedürfnis nach einer Sicht der Welt aus der Perspektive des Mitgefühls mit sich selbst und allen anderen Wesen. Ebenso verständlich ist das Bedürfnis, sich von der Vorstellung eines Gewissens zu befreien, das durch die Erwartungen einer religiösen Institution belastet ist, oder von dem Konzept der Gnade, welches besagt, dass nur Christus uns retten kann. Wie machtlos ist der Mensch in diesem Konzept, wie wenig Einfluss hat er auf sein Schicksal! Daher wohl auch das Bedürfnis mancher Katholiken, sich selbst von dem Leiden zu befreien, durch ihre eigene Praxis. Der Mensch kann sein Karma verändern, d.h. die Abfolge von Ursache und Wirkung unterbrechen oder in eine andere Richtung lenken. Er kann einen enormen Einfluss darauf haben. Und er tut dies nicht, indem er sich selbst geißelt und dadurch noch mehr Schuld auf sich lädt, sondern indem er beobachtet, erkennt, akzeptiert, prüft und sich schließlich nicht mit dem Leiden identifiziert.

 


Anderswo ist doch anders oder Yoga, als der Weg zur Einheit.


Bede Griffiths, ein englischer Benediktinermönch
Bede Griffiths, ein englischer Benediktinermönch

In der katholischen Welt gibt es jedoch welche, die anders über Yoga denken. Bede Griffiths, ein englischer Benediktinermönch, Philosoph und katholischer Schriftsteller, der nach einem gründlichen Studium des orientalischen Denkens nach Indien ging und dort das Leben eines armen Mönchs - eines Sannyasin - annahm, glaubte, dass die Kirche universell sei und daher alles, was an anderen Religionen wahr ist, in sich aufnehmen sollte, insbesondere die großen Traditionen des Buddhismus und des Hinduismus. Er starb 1996 in einem Kloster-Ashram in Shantivanam, einem Ort der ökumenischen Begegnung, des Gebets und der Liturgie, den er gemeinsam mit einem Dutzend Hindus leitete. Beda verstand das Geheimnis Gottes als eine unaussprechliche Wirklichkeit, die jedoch jedem Menschen zugänglich ist, weil sie in seinem Herzen verborgen ist. Seiner Ansicht nach wird in diesem höchsten Zustand, Samadhi, die Unterscheidung zwischen Gott und der Seele überwunden. Es ist nicht Gott, der bleibt, sondern die absolute Transzendenz, der Abgrund des Göttlichen. Das Denken hört hier auf, und alles ist still.


 

** "Moja lewa Joga" Paulina Młynarska, Übersetzung der Fragmente: Grażyna Kania

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