Yoga für alle? Realität der Exklusion
Yoga sei überall und für jeden zugänglich, sagt man. Doch die Realität sieht anders aus. Exklusion findet auf mehreren Ebenen statt: finanziell, geografisch, sprachlich, rassistisch, sexuell, altersbedingt, gewichtsspezifisch und behinderungsbezogen.
Diejenigen, die abseits der großen Städte leben oder sich keine Yogastunden für 15 bis 20 Euro pro Unterricht leisten können, sind auf das Internet angewiesen. Aber was, wenn sie kein Internet haben? Meine Eltern leben in einem polnischen Dorf, im sprichwörtlichen Nirgendwo. Beide sind über 80 und brauchen dringend gezielte Dehnungs- und Kräftigungsübungen, geschweige von Atemübungen, die das Zwerchfell trainieren. Sie haben Internet, aber Sport haben sie seit Jahrzehnten nicht mehr gemacht – auch das Plantschen im See oder die kurzen Fahrradtouren liegen lange zurück. Sie wären ein Fall für kleine Präventionsgruppen für ältere Menschen, Yogatherapie oder Personal Training, aber das ist weder finanzierbar noch organisierbar. Das nächste Yogastudio ist 30 Kilometer entfernt und bietet... Ashtanga-Yoga an. Nichts für sie. Auch das Online-Angebot richtet sich überwiegend an junge, gesunde Menschen. Was meine Eltern bräuchten, finden sie nicht, oder es erfordert eine lange und gezielte Suche. Menschen mit Behinderungen geht es nicht anders.
Yoga in der Großstadt: Zugänglichkeit und Exklusivität
Doch auch in der Großstadt findet nicht jeder, was er sucht: Wer keine der gängigen westlichen Sprachen wie Deutsch, Spanisch oder Englisch spricht, hat oft schlechte Karten. Auch hierzulande ist Yoga für viele aus finanziellen Gründen unerreichbar – und damit sind nicht nur die Kursgebühren gemeint, sondern auch der Kauf von geeigneter Kleidung und möglicherweise einer Matte, die in vielen Studios nicht mehr kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Yoga ist also nicht überall zugänglich und ist tatsächlich exklusiv.*
Kommerzialisierung des Yoga
Längst hat sich Yoga in der westlichen Marktwirtschaft als wichtiger Player der Fitnessindustrie mit einem Jahresumsatz von über 80 Milliarden etabliert. Es boomt nicht nur in Form der Gründung unzähliger Studios und Online-Angebote, sondern auch in Form von Yoga-Arten, die kaum noch als Yoga erkennbar sind: Augen-Yoga, Gesichts-Yoga, Aerial Yoga, Goat Yoga, Lach-Yoga, Bier-Yoga und vieles mehr. Yoga ist auch ein riesiger Markt für Kleidung, Equipment, Ernährung, Gadgets, Reisen und... Binsenweisheiten.
Es ist auch ein Markt der Eitelkeiten, der von der Yoga-Bekleidungsindustrie angeheizt wird. Obwohl die überwältigende Mehrheit der praktizierenden Personen Frauen sind– und zwar weiße Frauen – gibt es immer wieder Anzeichen von Misogynie und Missbrauch. Vielleicht gerade weil der Yogamarkt vor allem junge bis mittel junge, weiße Frau anspricht, eröffnet sich ein Feld für Empfindlichkeiten, Verletzungen und Grenzüberschreitungen.
Lululemon: Ein Beispiel für Exklusion und Misogynie
2013 sagte Chip Wilson, Gründer von Lululemon, als Antwort auf die massenhaften Beschwerden über zu enge Leggings: Die Körper mancher Frauen seien eben nicht für die hautengen Lululemon-Leggings geeignet. Obwohl er danach zurücktreten musste, behielt er 8 % der Aktien und äußert sich hin und wieder im Namen von Lululemon klar gegen Diversity: "Man muss klar sagen, dass man bestimmte Kunden nicht haben will." Er verabscheut, wie er sagt, "die ganze Diversitäts- und Inklusionssache" von Lululemon. Die Models in der Lululemon-Werbung findet er „ungesund“, „kränklich“ und „nicht inspirierend“.
Nicht nur Lululemon setzt auf den schlanken, perfekten Körper. Fast alle Marken, die sich auf Yogakleidung spezialisiert haben, bieten Po-anhebende Leggings, knappe Tops mit Push-up-Effekt, sexy, eng anliegende, farblich abgestimmte Sets, Bodys, Overalls usw. an – und das alles vor allem für Frauen, weiße Frauen, die sich die Preise leisten können. Dabei sollte doch für jeden ernsthaft praktizierenden Yogi klar sein, dass die Betonung des Körpers und dessen Zurschaustellung das Ego nährt und wenig mit Yoga zu tun hat. Das Prinzip der Bescheidenheit, in Sanskrit aparigraha und der Enthaltsamkeit, brahmacharya, die zwei der Yamas, der 8 Gebote im Yoga, beziehen sich darauf: es geht um ein Verhalten, das zur Zufriedenheit führt, die nicht von Konsum und Besitz abhängig ist.
Und was ist mit ahimsa, einem anderen Gebot, das das Prinzip der Nichtverletzung bedeutet? Wenn in einer Yogaklasse immer wieder Veganismus gepredigt wird, aber mit keinem Wort erwähnt wird, dass diese Räucherstäbchen, Klangschallen, Matten, Klötze, Gurte, Augenkissen, Mala-Ketten und die hippe Bekleidung, die auch die Lehrer:innen tragen, in China, Taiwan, Indien oder Afrika unter miserablen Arbeitsbedingungen hergestellt werden, dann ist das entweder das Ausblenden unbequemer Wahrheiten oder einfach Verlogenheit. Wenn Kinder in Ostasien in der Produktionskette dieser überteuerten Kleidung und Gadgets mitarbeiten müssen, um ihre Familie zu unterstützen, anstatt zur Schule zu gehen, dann ist das Teilhabe an Ausbeutung und Gewalt. Nicht nur Marken wie Lululemon, die mit Outsourcing nach Ostasien sogar prahlen und denen Zwangsarbeit in der Produktionskette nachgewiesen werden kann (mehr dazu zum Beispiel hier), tragen die Verantwortung, sondern auch jede einzelne Person, die diese Prozesse durch den Kauf unterstützt.
Yoga und Rassismus?! Leider ja.
In Bezug auf Rassismus in der Yogawelt ist Lululemon erneut ganz oben auf der Liste.
Chip Wilson, Gründer von Lululemon, wollte einen Namen mit vielen 'L' darin, damit er für japanische Kunden unaussprechlich ist. Doch man muss nicht so weit schauen: Susanne Peters berichtete in ihrem Blog aus dem Jahr 2020, dass sie 50 Cover der Zeitschrift Yoga aktuell durchgesehen hatte. Sie stellte fest, dass auf 49 dieser Cover Frauen zu sehen waren, von denen nur 2 Women of Color waren. "Alle Menschen auf den Covern waren schlank und größtenteils in sehr anspruchsvollen Asanas zu sehen, die eine hohe Flexibilität erfordern." Ich habe die letzten drei Jahre bei Yoga World geprüft und konnte keine Veränderung feststellen: Nur auf einem Cover war eine ältere Yogalehrerin abgebildet, und ich konnte nur eine Woman of Color entdecken. Keine schwangere, transsexuelle oder queere Person, keine Menschen mit Behinderung oder Übergröße. 99 % der Abgebildeten sind schlank, und die Mehrheit zeigt sich in anspruchsvollen Posen. In einem Heft wurde das Thema der kulturellen Aneignung angesprochen, oder eher spekuliert, ob der Vorwurf gerechtfertigt ist.
Die Klassen, Workshops, Retreats und Kurse, an denen ich in Deutschland oder Polen teilgenommen habe, sind zu 99 % von weißen Menschen (meistens Frauen) besucht worden. Die Ausbildungen und Kurse werden zu 70 % von weißen Männern geleitet. Unter meinen Privatschüler:innen, trotz des solidarischen Preises für Bedürftige, sind nur selten Menschen mit Migrationshintergrund und keine People of Colour. Die Ausbildungen, die ich besucht habe, konnten sich vor allem weiße Menschen leisten.
Stellen wir uns jetzt zwei Räume in einem Kulturhaus vor: In dem einen versammeln sich weiße Menschen, die lautstark Mantras in gebrochenem Sanskrit, dafür in einem leicht poppigen, neuen Arrangement singen, begleitet vom Klang des Harmoniums und dem Duft von Räucherstäbchen. Im anderen Raum singt ein Chor von Women of Colour bayerische Volkslieder, gekleidet in Dirndl. Während das eine Bild für viele selbstverständlich wirkt, dürfte das andere wohl für Aufsehen sorgen.
Hier ist eine Liste von Yogalehrerinnen of Colour, die mich besonders inspirieren:
Missbrauchsskandale in der Yogawelt
Noch ein Thema bleibt unter dem Aspekt der patriarchalen Strukturen zu besprechen: die Sex- und Missbrauchsskandale. Es ist kein Thema, das mich besonders reizt, sondern vielmehr wütend macht. Doch es ist notwendig, diese Missstände klar und deutlich zu benennen – immer wieder – und dabei auf die Tradition des unbeirrbaren Gurus und der patriarchalen Strukturen im Yoga hinzuweisen. Mehr dazu, ganz bald, im dritten und letzten Teil dieser Blogserie.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Dies sind alles Themen, die behandelt werden müssen, damit Yoga die gute Praxis bleiben kann, die sie für viele Menschen ist und es führt natürlich zur Frage, wie man mit all diesen Umständen umgehen soll: Kommerz, Rassismus, Misogynie, Sexismus, Exklusion. Wie kann dem „ursprünglichen Yoga“ gerecht werden? Und ist das überhaupt noch möglich? Ich werde versuchen, diese Fragen zu beantworten.
In einem gesonderten Blogpost werde ich zudem die Verbindungen zwischen Yoga und dem nationalsozialistischen Deutschland thematisieren. Es ist ein Thema, das mich seit Jahren verfolgt. Es ist mir genauso wichtig wie zuwider. Es muss aber sein und es kommt!
Bleibt dran, um einen tiefergehenden Blick auf diese kritischen Aspekte der Yoga-Welt zu werfen. Und vor allem: Praktiziert weiter, sofern euch diese unschätzbare Praxis zugänglich ist.
*Wohl gemerkt gibt es einige solidarische Initiativen, wie die der Berliner Stadtmission mit kostenlosem Yoga für FLINTA, bei der ich mich auch als ehrenamtliche Yogalehrerin angemeldet habe, oder Yogastudios wie Yellow Yoga in Kreuzberg und Neukölln, die ebenfalls die Möglichkeit bietet, einen reduzierten Preis zu zahlen, ohne einen Nachweis vorlegen zu müssen. Doch für eine Stadt wie Berlin ist das Angebot für Bedürftige insgesamt viel zu knapp.
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