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Atem - ein Wunderheilmittel!


Vor ein paar Wochen sorgte ein Bild der polnischen Tennisspielerin Iga Świątek, die mit abgeklebtem Mund trainiert, für Aufsehen in den sozialen Medien.

Das Abkleben des Mundes soll dazu dienen, sich die Nasenatmung anzugewöhnen, was sich auf die Leistung auswirken soll: Durch die Nasenatmung wird dem Körper mehr Sauerstoff zugeführt, der dann besser funktioniert, was sich auch auf die Konzentration auswirkt.


Iga Świątek. polnische Tenisspielerin während des Trainings mit abgeklebtem Mund.
Das Abkleben des Mundes soll die Nasenatmung angewöhnen und somit die Leistung steigern.

Es geht aber auch um etwas anderes: Bei der Nasenatmung hat der Körper mehr Mühe, das Kohlendioxid loszuwerden, das für die Sauerstoffversorgung der Muskeln aus dem Blut benötigt wird. Beim Atmen durch den Mund scheidet der Körper große Mengen Kohlendioxid zu schnell aus, so dass die Toleranz gegenüber Kohlendioxid sinkt. Der Teufelskreis beginnt, denn der Körper will das Kohlendioxid wieder loswerden, was dazu führt, dass wir wieder durch den Mund atmen. Das Abkleben des Mundes während des Trainings dient dazu, sich an mehr Kohlendioxid im Körper zu gewöhnen.


Die Nasenatmung ist jedoch nicht nur bei intensiver körperlicher Betätigung oder während einer Yogapraxis wichtig, sondern auch im Alltag. Denn die Nase filtert die Luft, bevor sie die Lunge erreicht. Die Flimmerhärchen und Schleimhäute in der Nase erwärmen, befeuchten und reinigen die Luft und fangen dabei auch Krankheitserreger ab. Dadurch wird auch die Qualität der eingeatmeten Luft verbessert. All dies verringert das Risiko, sich zu erkälten. Darüber hinaus produziert die Nase unter anderem Stickstoffmonoxid, das nicht nur die Immunabwehr unterstützt, sondern auch die Blutgefäße erweitert, was den Sauerstofftransport im Blut verbessert. Die Nasenatmung verbessert auch die Schlafqualität und sorgt durch die bessere Sauerstoffversorgung des Körpers dafür, dass wir mehr Willenskraft statt Müdigkeit verspüren.


Gute Atem – Gewohnheiten... geht das auch etwas weniger drastisch?


Klar, man muss nicht zum Zukleben des Mundes greifen, um die Gewohnheit zu entwickeln, täglich durch die Nase zu atmen.

In Yoga gibt es zum Beispiel eine Vielzahl von Atemübungen, die als Pranayama bezeichnet werden. Jedes Mal, wenn ich in aktuellen wissenschaftlichen Artikeln über die Funktion des Zwerchfells und die Bedeutung der richtigen Atmung nachlese, bin ich erstaunt darüber, wie genau die alten Yogis beobachtet haben, wie der Atem auf unseren gesamten Organismus wirkt. Denn die meisten der Atemtechniken, die in modernen Atemkursen gelehrt werden, spiegeln sich in den Jahrtausende alten Pranayama-Übungen wider. Leider werden Atemübungen in vielen westlichen Yogaschulen nur am Rande behandelt. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass sie bereits mehrere tausend Jahre vor körperlichen Praxis entwickelt wurden.


Bevor wir aber mit den Atemübungen loslegen, möchte ich noch ein paar Gedanken zu dem Atem selber teilen. Das wird dir helfen, besser einzuschätzen, wie es gerade um deine Atmung steht.


Wir alle wissen, dass wir ohne das Atmen nicht überleben könnten. Das Leben wird buchstäblich von dem ersten bis zum letzten Atemzug gemessen. Man könnte fast sagen: "Ich atme, also bin ich", Descartes paraphrasierend. Aber die meisten von uns haben kaum eine Ahnung von der Atmung. Wir achten selten darauf, wie wir atmen, geschweige denn, wie das Atmen unsere körperliche Verfassung oder Gefühle beeinflusst. Die meisten von uns lernen nichts über die Atmung, außer wenn wir in einem Chor singen, ein Blasinstrument spielen, Sport machen, Yoga praktizieren oder an Geburtsvorbereitungskursen teilnehmen. Dort erfahren wir, dass Atmen zwar etwas Natürliches ist, aber auch gelernt werden kann und sollte.





Was weißt Du über deinen Atem?


Wenn Du bisher noch nie auf Deine Atmung geachtet hast, mache jetzt ein kleines Experiment: Beobachte Deine eigene Atmung, jetzt, ein paar Minuten lang. Und beantworte für dich selbst die folgenden Fragen:

- Atme ich durch die Nase oder durch den Mund?

- Seufze ich häufig?

- Ist meine Atmung schwer und hörbar?

- Bewegt sich der obere Teil meines Brustkorbs merklich?

- Habe ich oft eine verstopfte Nase?

- Wache ich mit einem Gefühl der Mundtrockenheit auf?

Stelle Dir auch Fragen zu Deinen Gewohnheiten:

- Gähne oder seufze ich oft?

- Habe ich die Angewohnheit, vor dem Sprechen tief durchzuatmen und dann lange zu sprechen und dann wieder schnappe ich nach dem Atem?


Schon wenige "Ja" - Antworten deuten auf eine abnorme, insbesondere übermäßige Atmung hin. Dies ist ein Problem der Zivilisation.



Wie beeinflußt unser tägliches Leben unsere Atmung?


Vor nur 100 Jahren waren die meisten von uns etwa vier Stunden täglich körperlich aktiv, sei es durch Fußwege oder Feldarbeit. Doch in den letzten 50 Jahren haben sich unsere Lebensgewohnheiten drastisch geändert und das beeinflusst auch unsere Atemgewohnheiten. Dazu kommt anhaltender Stress und schlechte Ernährung:

- Wir essen in unregelmäßigen Abständen zu viel minderwertige Nahrungsmittel, voller Konservierungsstoffe. Die letzte Mahlzeit essen wir spät, was beeinflusst nicht nur unseren Stoffwechsel und unser Gewicht, sondern auch unsere nächtliche Atmung.

- Wir sind heute viel mehr Reizen ausgesetzt als je zuvor, was unsere Konzentration beeinträchtigt. Unsere Fähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren, hat abgenommen, und elektronische Geräte zwingen uns oft zur kurzen Aufmerksamkeit.

- Der andauernde, alltägliche Stress, dem wir dauerhaft ausgestezt sind, führt zur Dominanz des sympathischen Nervensystems, was unser Gehirn mit Gefahr verknüpft.



Unsere tägliche Bedrohung gib uns heute.


Ein verzweifelter Mann sitzt vor seinem Computer, vergrebt sein Kopf in den Händen.
Das dauerhafte Atemanhalten führt zu schweren Folgen für dein gesamtes System.

In der Vergangenheit war Stress immer mit sehr intensiver körperlicher Anstrengung, Kampf oder Flucht, verbunden. Die Art und Weise, schneller durch den Mund und mit dem oberen Teil des Brustkorbs zu atmen - was damals aktiviert wurde - verschaffte uns einen Vorteil. Und obwohl sich das jagende Raubtier in einen Geschäftspartner, Chef, Kredit oder Ehrgeiz verwandelte und die körperliche Anstrengung verschwand - der Mechanismus blieb. „Die Folge der ständigen Erregung ist chronischer, unbewusster Stress, der zu unterschwelliger Muskelanspannung, Mundatmung und oft zum Luftanhalten beim Einatmen führt. Als Folge von sehr starkem Stress atmen wir mehrere Monate oder sogar Jahre lang schneller und durch den Mund, weil wir eine neue Gewohnheit entwickelt haben.“ *



Richtig Atmen versus chronische Hyperventilation


Die richtige Atmung in Ruhezustand ist gleichmäßig und tief, mit dem unteren Brustkorb und nur durch die Nase. Normalerweise atmen wir etwa 10-12 Mal pro Minute und tauschen 5-6 Liter Luft pro Minute aus. Obwohl wir alle wissen, dass 10 Mahlzeiten am Tag ungesund sind, klingt die Idee von Überatmung zunächst seltsam. Paradoxerweise führt häufiges und schnelles Atmen zu einem Mangel an Sauerstoff im Körper. Dies kann jahrelang unbemerkt bleiben. Fakt ist, dass viele von uns vielleicht doppelt oder sogar dreifach so viel Luft einatmen, wie sie sollten, ohne es zu merken.

Graphik zur Entstehung der Hyperventilation
Teufelskreis der Hyperventilation

Übermäßige Atmung, so genannte chronische Hyperventilation, kann durch psychologische Faktoren wie Stress und Angst, biochemische Faktoren wie Allergien und Hormonspiegel, sowie durch Substanzen wie Alkohol, Koffein, Medikamente oder Drogen ausgelöst werden. Auch biomechanische Faktoren wie Bewegungsüberlastung und schlechte Haltungsgewohnheiten sowie kulturelle Faktoren wie der Wunsch nach einem flachen Bauch können eine Rolle spielen.


Bei vielen Menschen handelt es sich um eine Kombination dieser Faktoren.


Die Liste der Symptome, die mit Hyperventilation einhergehen, ist beeindruckend:

Konzentrationsschwäche, unzuverlässiges Gedächtnis, Ohnmachtsgefühle, ständige Anspannung, Kopfschmerzen, rasende Gedanken, Reizbarkeit, benebelter Geist, Panikattacken, Schlafprobleme, Schnarchen, Atemnot, chronische Müdigkeit, allgemeine Erschöpfung.

Wenn wir in der oberen Bahn atmen und ein schlecht aktiviertes Zwerchfell haben, provozieren wir eine Dominanz des Sympathkus, und bekommen oft kalte Füße und Hände. Das Herz-Kreislauf-System reagiert mit einer beschleunigten, unregelmäßigen Herzfrequenz, Herzrhythmusstörungen, akzessorischen Kontraktionen, einem Druckgefühl oder Schmerzen in der Brust und erhöhtem Druck. Im Bereich der Atemwege kommt es zu einer verstopften Nase, Sinusproblemen, Kurzatmigkeit, Husten, kratzendem Atem, häufigem Gähnen, Schnarchen und nächtlicher Apnoe. Die oben zitierte Ärztin Elżbieta Dudzińska fügt auch Reflux oder Reizdarmsyndrom hinzu.



Richtig atmen bedeutet mit frischen Batterien laufen!


Dabei ist Sauerstoff nicht nur die wichtigste Antriebskraft des Stoffwechsels, sondern auch des Gehirns. Wusstest Du, dass das etwas mehr als ein Kilogramm schwere Gehirn bis zu 25 Prozent seines Sauerstoffs aus dem Blut aufnimmt? Je effizienter wir also atmen, desto effektiver funktioniert unser Gehirn, desto lebendiger zirkuliert das Blut, alles funktioniert viel besser. Es ist, als ob jemand neue Batterien in uns eingesetzt hätte. Psychotherapeut und ZEN Buddhist Wojciech Eichelberger ist überzeugt, dass richtiges Atmen sich auch positiv auf unsere Emotionen und unsere Fähigkeit auswirkt, unser eigenes Verhalten zu steuern. „Sind wir hypoxisch, reicht der Sauerstoff nur für die Aufrechterhaltung der grundlegenden Lebensfunktionen, aber nicht mehr für effektives Handeln unter Druck, für Geduld, Einfühlungsvermögen, lebendigen und sinnvollen Umgang mit Menschen. Auch kreatives Denken und Handeln erfordern große Mengen an Atemtreibstoff.“



Wer und wie kann das eigene Atem steuern.


Die Atmung funktioniert einerseits automatisch, andererseits haben wir die Fähigkeit, sie bewusst zu steuern. Jeder kann das tun: den Atem flacher oder tiefer fließen lassen, ihn beschleunigen oder verlangsamen, ihn beim Einatmen oder Ausatmen anhalten...

Da sich der Atem der bewussten Kontrolle unterwerfen lässt, während er mit dem autonomen Teil des Nervensystems verbunden ist, der unsere Physiologie steuert, ermöglicht er uns, diese Physiologie bewusst zu beeinflussen. Das Signal, was mit dem Atem geschieht, erreicht sofort alle Teile des Körpers und trägt die grundlegende Information: mobilisieren oder loslassen. Wenn wir also lernen können, unsere Atmung im Kampf, bei Bedrohung und Überlastung bewusst zu steuern, können wir den Zustand der Stressanspannung im gesamten Körper wirksam reduzieren.



Das Wichtigste für den Abbau von Verspannungen ist die untere Bahn, also Bauchatmung, genau genommen die gekonnte Kontrolle des Zwerchfells. Dies wird als effortless abdominal breathing bezeichnet. Es gibt viele Studien, die zeigen, wie sich diese mühelose Bauchatmung auf die Physiologie und den Geisteszustand auswirkt. Aber der Durchschnittsmensch hat weder die Sensibilität des Zwerchfells noch das Wissen, wie es funktioniert. Dabei ist das Zwerchfell ein leistungsfähiger Skelettmuskel, also einer, den wir kontrollieren können. Genauso wie die Muskeln der Arme und Beine. Es lohnt sich wirklich zu lernen, wie man es bewusst steuern und den Zustand von Körper, Herz, Geist und Seele beeinflussen kann.


Der Atem wirkt aber nicht nur auf physiologischer und biochemischer Ebene.

In den östlichen Traditionen, in Yoga zum Beispiel, ist er ein wichtiges Instrument zur Arbeit an den Emotionen, Mentalität und an dem Geist. Leider gibt es in unserer Kultur keinen solchen Respekt für den Atem.

Grazyna Kania, Your Yoga Trainer im Schneidersitz während der meditation
Meditation im Schneidersitz

Dennoch steht fest und wird durch die jahrhundertelange Erfahrung sehr vieler Menschen bestätigt, dass jeder, der ein spirituell entwickelter Mensch werden will, lernen muss zu atmen.


In der Meditation ist der Atem ein wesentliches Werkzeug, um zu lernen, im Hier und Jetzt zu sein. Mit dem Atem können wir, wenn wir ihn einmal geübt haben, leicht Blockaden lösen und uns selbst in die Realität zurückbringen. Wenn wir uns jeden Tag in der achtsamen Erfahrung des Atems üben, können wir mit der Zeit die absolute, spirituelle Dimension der Wirklichkeit entdecken.



Wenn Du bereits anfangen willst, richtig zu atmen, mache diese einfache Übung.


Lege dich mit dem Rücken auf den Boden und lege ein Buch auf dein Bauch.

Versuche, nur durch die Nase zu atmen, so dass das Buch sich beim Einatmen hebt,

und dann bei der Ausatmung wieder senkt. Atme ein paar Minuten lang auf diese Weise.


Wenn Dir diese Übung keine Schwierigkeiten bereitet, kannst Du das Buch zur Seite legen und zum nächsten Schritt übergehen, der darin besteht, die Länge der Ein- und Ausatmung anzugleichen und die Ausatmung allmählich zu verlängern.


Es gibt übrigens einige Yogaschulen, die diese Art der Atmung während der gesamten Session praktizieren, egal wie anstrengend die jeweilige Asana oder Sequenz ist. Zusätzlich werden die Stimmbänder und der Kehlkopf leicht verengt, was zu einer weiteren Verlängerung und Vertiefung des Atems führt. Es entsteht auch ein angenehmes, Rauschen – das wie eine Massage von innen wirkt. Diese Pranayama heißt Ujiai.


Kehren wir jedoch zum Atmen in Ruhezustand zurück:

Wenn Du deine nasale Ein- und Ausatmung leicht verlängern und ausgleichen kannst,

füge allmählich Pausen dazwischen und dann gleiche nach und nach alle vier Elemente aus, z.B:

Graphische Darstellung der Box-Atmung
Box-Atmung

Atme auf 4 ein,

Halte den Atem auf 4 an,

Atme auf 4 aus,

Halte den Atem auf 4 an...


Diese Übung wird Box-Atmung genannt und gehört zu einer der Grundtechniken der Atmung im Yoga unter dem Namen Sama Vrtti Pranayama.


Durch das Anhalten des Atems wird die Toleranz für Kohlendioxid erhöht und der Vagusnerv und das parasympathische Nervensystem werden deutlich beeinflusst.


Beachte: Für jemanden, der falsch atmet - durch den Mund, zu schnell, und vor allem zu wenig Zwerchfellaktivität hat, kann diese Übung sehr schwierig sein. Achte auch auf Kontraindikationen wie hohen, unkontrollierten Bluthochdruck oder Diabetes

(diese Übungen senken den Blutzuckerspiegel stark).


Wichtig ist auch die Anwendung von Entspannungstechniken, wie z. B. eine Einführung

Meditation oder Visualisierung, progressive Entspannung oder autogenes Training sind ebenfalls wichtig. Diese lösen im Körper eine Entspannungsreaktion aus, die

automatisch zu einer Verlangsamung der Atmung und einer Verringerung des Atemvolumens führt.



*Elżbieta Dudzińska, M.D., schloss ihr Medizinstudium an der Medizinischen Universität Wrocław ab. Sie ist Absolventin des Postgraduiertenstudiums für Ärzte in Integrativer Medizin an der University of Arizona, USA 2017. Sie absolvierte Kurse in Atemtechniken, darunter die Buteyko-Methode, die Wim-Hof-Methode und MBSR-Techniken zur Stressreduzierung am Institute of Behavioural Medicine, USA. Sie bietet Atemtherapien und Unterstützung bei der Wiederherstellung der korrekten, physiologischen Atmung an.

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