Yoga ist eine spirituelle Praxis. Yoga ist ein großer Markt.
Mit beiden Aussagen bin ich einverstanden. Ich bin ein Teil von beiden.
Als eine weiße sportliche Frau in meinen 50ern, immer noch flexibel und stark, kann ich mich auf dem modernen Yoga-Markt noch relativ gut bewegen – im Vergleich zu den Instagram-Akrobat:innen jedoch eher schlecht als recht.
Der Yoga Markt ist von jungen, akrobatischen Lehrer:innen und zahllosen hippen Studios an jeder Ecke überlaufen. Es fällt mir schwer, kontinuierlich und spritzig genug Inhalte für die sozialen Medien zu gestalten, um auf mich aufmerksam zu machen. Das Gute ist, dass ich vorwiegend privat unterrichte und keine Heerscharen von Followern brauche, die bewundern, wie gut ich noch in Form bin. Auch wenn ich in der Winterzeit bange, ob meine kleine Gruppe fester Schüler alle gleichzeitig einer Grippe- oder Coronawelle zum Opfer fallen oder im Sommer alle auf einmal verreisen, habe ich mich mit der finanziellen Unsicherheit bereits damals als freiberufliche Regisseurin arrangiert. Yoga hat mir dabei auch enorm geholfen! Womit ich jedoch eher Probleme habe, ist die Tatsache, dass das, was eigentlich loslassen lernen und spirituell entwickeln soll, zu meinem Erwerb geworden ist. Daher muss ich, ob ich will oder nicht, mein Wissen und Können gut vermarkten, wenn ich neue Schüler:innen brauche. Auch wenn ich andere Ziele habe, fühle ich mich gezwungen im Yoga-Markt-Wettbewerb mitzuhalten.
Warum schreibe ich darüber? Nun, schon an meinem Beispiel sieht man deutlich, wie sich Yoga im Laufe der Jahrtausende gewandelt hat. Veränderungen sind an sich nichts Verwerfliches; die Frage ist jedoch, unter welchen Einflüssen und zu welchem Zweck sie stattfinden. Ursprünglich war Yoga zum Beispiel ausschließlich Männern vorbehalten, und manche Praktiken waren sogar nur Männern aus höheren Kasten zugänglich. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts erhielten Frauen Zugang zu Yoga. Krischnamacharya, der als Vater des modernen Yoga gilt, wollte Indra Devi, eine weiße Frau aus einer diplomatischen Familie, zuerst gar nicht zu seinem Unterricht zulassen: sie war nicht indisch, sie war eine Frau. Heute diskutiert man hingegen (z.B. in einem sehr gut recherchierten Podcast Yoga is Dead), dass Yoga von einer weißen Frau annektiert worden sei, und POC – auch Personen indischer Abstammung – berichten von diskriminierenden Verhaltensweisen in der Yogaszene.
Die Wurzeln der kulturellen Aneignung im Yoga
Unter der britischen Besatzung durften die Inder weder Yoga noch Ayurveda praktizieren oder unterrichten. Mit der Befreiungsbewegung wurden die Yoga Shalas nach und nach geöffnet. Reisende aus dem Westen erkannten schnell die Einzigartigkeit dieser Praxis, und in kürzester Zeit, innerhalb weniger Jahrzehnte, wurde Yoga zu einem Milliarden-Dollar-Markt. Die Kultur wurde aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen und den westlichen Bedürfnissen angepasst – ein Lehrbuchbeispiel für kulturelle Aneignung.
Besonders im 20. Jahrhundert erlitt Yoga durch koloniale Einflüsse und westliche Vorbilder eine tiefgreifende Entfremdung von seinen ursprünglichen spirituellen Wurzeln. Die Diskussion darüber findet zwar statt, aber im deutschsprachigen Raum, anders als in UK, meistens außerhalb der Yogaszene.* Unter den wenigen Stimmen zu diesem Thema gibt es zudem einige, die behaupten, dass Yoga ein Ergebnis eines Ost-West-Austauschs sei. Nun, auch wenn Lehrer wie Iyengar und Pattabhi Jois im Westen unterrichteten, sind sie Inder gewesen und wurden Schüler eines indischen Lehrers, von Sri Tirumalai Krishnamacharya. Und vor allem: All die drei Yogalehrer lebten in Indien während der britischen Kolonialzeit, wie Susanne Peters in ihrem Beitrag auch richtig unterstreicht.
Mag sein, dass manche heutige Körperhaltungen des Yoga (āsanas) nichts mit den alten Hatha-Yoga-Schriften zu tun haben und andere ein Mix aus den damaligen Bodybuilding-Posen für Männer** und den Fitnessübungen des britischen Militärs sind. Es mag auch sein, dass das britische Militär manches übernommen hat, sobald Yoga von den Besatzern wieder erlaubt worden war. Es mag auch sein, dass Yoga in Indien vor der Kolonialzeit nur im direkten, vertrauten 1:1-Austausch zwischen Lehrer und Schüler weitergegeben wurde und erst unter dem Einfluss des britischen Militär-Drills und der westlichen Körperkultur zu einem frontalen Gruppenunterricht mutierte – mit dem strammen Zählen der Atemzüge und dem zwischen die Mattenreihen laufendem Lehrer. (Besonders im heutigen Ashtanga-Yoga führte dies zu einer Standardisierung, die oft die individuellen Bedürfnisse und spirituellen Ziele der Praktizierenden vernachlässigt.)
Dies alles kann man aber kaum Austausch nennen, wenn eine Seite unterlegen ist und die andere vorgibt, was und wann erlaubt ist und was verboten bleibt.
Vom spiritueller Austausch zur profitablen Industrie
Hinzu kommt, dass es weit weniger profitabel ist, eins zu eins gegen eine freiwillige Gabe zu unterrichten, wie es in der indischen Tradition üblich war, als eine zahlungswillige Gruppe von mindestens 20 Personen, die heutzutage bereit ist, für eine sogenannte 200-Stunden-Lehrerausbildung bis zu 6.000 Euro zu zahlen.
Das ist aber noch lange nicht alles: Der kapitalistisch denkende weiße Mensch konnte es sich natürlich nicht verkneifen und gründete schnell mehrere zentrale Stellen, bei denen man sich für weiteres Geld registrieren und zertifizieren lassen kann. Besonders der prüfungs- und zertifikatsfixierte Westmensch wird damit perfekt angesprochen: Kompetenz wird im Westen schließlich nur anerkannt, wenn sie teuer erkauft und durch eine Vielzahl von Stempeln bestätigt ist. So wurde auch die Lehrerausbildung zu einer lukrativen Industrie, in der großes Geld fließt. Was im Westen geboten wird, muss einen Preis haben. Sonst ist es nichts wert.
Ich habe übrigens mehrere Ausbildungen abgeschlossen. Manche legten einen intensiven Fokus auf Philosophie oder boten sogar Sanskrit-Unterricht und Mantra-Gesang an, andere legten großen Wert auf Meditation und Atemübungen. In der Yogatherapie Ausbildung ging es dagegen vor allem um den Körper und darum, wie man die klassischen Yogaposen an wenig bewegliche oder sogar kranke Menschen anpassen kann. Die Geschichte des Yoga, die sich über mehrere tausend Jahre erstreckt, wurde in alle anderen Ausbildungsprogramme eingeplant. Die längste Zeit, die vorgesehen war, betrug 3 Stunden. Dabei war niemals die Rede von kolonialen Einflüssen, kultureller Aneignung, dem Zusammenhang zwischen der Yogalehren und den Nazis oder gar von der Verwicklung der damaligen Yogaszene in die Politik zur Zeit des Naziregimes.
Das Yoga, wie es in westlichen Ländern darstellt wird, ist ein Ergebnis dieser komplexen und oft problematischen Geschichte.
Andererseits, trotz des westlichen Einflusses, blieb Yoga eine Praxis, die stark von patriarchalen Strukturen und dem Kult des Gurus geprägt ist. Dies spiegelt sich sowohl in der gesamten Yoga-Produkte-Industrie (insbesondere in Bezug auf Yogakleidung) als auch in den zahlreichen Sex- und Missbrauchsskandalen wider, die die Yogaszene erschüttert haben, aber nach wie vor keine grundlegenden Veränderungen bewirken konnten. Über diese Themen und über den Rassismus in der Yogaszene werde ich im zweiten Teil schreiben.
*Ich habe unzählige Artikel und Beiträge in Zeitschriften wie der Zeit, dem Spiegel, der TAZ, SRF, Deutschlandfunknova, NZZ.Bellevue, VNB und vielen mehr zu dem Thema gefunden und nur einzelne in den Yogamedien. Diese klingen oft eher verharmlosend als scharfe Kritik zu üben oder sind lediglich Reaktionen auf Beiträge aus den allgemeinen Medien. Eine einzige weiße, junge Yogalehrerin schreibt mutig und kritisch darüber hier.
**Eugen Sandow, Ostpreusse und Erfinder des Bodybuildings, zog 1905 auf seiner Tournee durch Indien.
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